Abschlussbericht zum dritten großen Matriarchatskongress
der Internationalen Akademie HAGIA
„DIE ZEIT IST REIF. Wir gehen in eine Lebens Werte Gesellschaft“
Internationaler Kongress für Matriarchatspolitik
Schweiz 2011
Der Hintergrund des Kongresses
Dieser Kongress fand vom 12. – 15. Mai 2011 in St. Gallen/Schweiz statt und war der dritte große Matriarchatskongress der Internationalen Akademie HAGIA nach den beiden Weltkongressen für Matriarchatsforschung 2003 und 2005.
Beim ersten Weltkongress im Jahr 2003 in Luxemburg brachte Heide Göttner-Abendroth Wissenschaftlerinnen aus Europa, den USA und China zusammen, die sich mit Matriarchatsforschung im weitesten Sinne beschäftigen. Sie einigten sich auf den Namen, die Definition und Methodologie dieser neuen soziokulturellen und interdisziplinären Wissenschaft: „Matriarchatsforschung“.
Beim zweiten Weltkongress im Jahr 2005 in San Marcos, Texas/USA wurden insbesondere indigene Forscherinnen und Aktivistinnen eingeladen, damit sie ihre heute noch existierenden matriarchalen Gesellschaften vorstellen konnten. Dabei erkannten sie die Ähnlichkeiten ihrer Kulturen, obwohl sie aus verschiedenen Kontinenten kamen, aus Asien, Afrika, Amerika. Sie und die westlichen, patriarchatskritischen Forscherinnen gründeten gemeinsam das internationale Netzwerk „Matriarchal Studies“. Die westlichen Wissenschaftlerinnen erfuhren viel von der Weisheit und vom praktischen Leben in matriarchalen Gesellschaften; die indigenen Forscherinnen sahen sich durch den theoretischen Rahmen der modernen Matriarchatsforschung unterstützt und wurden angeregt, ihre wertvolles kulturelles Erbe zu schützen.
Auf diesem Boden wurde der dritte große Matriarchatskongress entwickelt. Im Jahr 2011 in St. Gallen trafen sich die westlichen und die indigenen Forscherinnen und Aktivistinnen wieder, um aus den vorangegangenen Erkenntnissen Wege zu finden, wie matriarchale Weisheit und Lebensweise für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können. Es wurden Vorschläge zur Lösung der wachsenden ökonomischen, sozialen und globalen Probleme gemacht. Der Kongress war deshalb ausdrücklich der „Matriarchatspolitik“ gewidmet.
Genauso wie die beiden vorangegangenen Weltkongresse wurde auch dieser Kongress begeistert aufgenommen, und er wurde eine großer Erfolg. Es waren – wie auf den vorherigen Kongressen – ca. 500 TeilnehmerInnen da, die meisten von ihnen Frauen und einige Männer. Die Resonanz reichte weit über die deutschsprachigen Länder hinaus, sie umfasste andere europäische Länder, die USA, Lateinamerika, Indien, Südafrika. Denn heute suchen wegen der galoppierenden globalen Krisen, ausgelöst durch die westliche Zivilisation, immer mehr Menschen nach einer grundsätzliche Veränderung der Lebensweise. Sie nehmen die Anregungen aus der modernen Matriarchatsforschung auf, um Wege in eine geschlechter-demokratische und auf allen Ebenen ausgewogene Gesellschaftsform zu finden, die insbesondere die Erde als unsere Grundlage wieder achtet.
Die drei Organisatorinnen: Heide Göttner-Abendroth,
Cécile Keller und Christina Schlatter
Das Programm: Matriarchatsforschung und Matriarchatspolitik
Auch diesmal war Heide Göttner-Abendroth für das Programm und die Leitung des Kongresses verantwortlich. Sie wurde tatkräftig unterstützt von Cécile Keller, die den gesamten Kongresses koordinierte, und Christina Schlatter, der Organisatorin vor Ort. Sie eröffneten zusammen mit Ruth-Gaby Vermot-Mangold, der Präsidentin der „1000 FriedensFrauen Weltweit“, und der St. Galler Stadträtin Elisabeth Beéry den Kongress.
Der erste Tag des Kongresses war der Vertiefung der Erkenntnisse aus der Matriarchatsforschung gewidmet. Indigene Wissenschaftlerinnen aus Nord- und Lateinamerika, aus Afrika und aus Asien sprachen über ihre eigenen matriarchalen Gesellschaften: Barbara Mann über die Gesellschaft der Irokesen, Marina Meneses über die Stadt Juchitàn, Bernedette Muthien über matriarchale Gesellschaftsmuster in Afrika, Patricia Mukhim und Valentina Pakyntein über die Khasi-Gesellschaft in Indien, Letecia Layson über die indigenen Priesterinnen auf den Philippinen. Ihre authentischen Darstellungen waren äußerst eindrücklich und bewegend. Insbesondere wurde bei ihnen die politische Leidenschaft deutlich, mit der sie ihre matriarchalen Lebensformen bewahren oder trotz der Zerstörungen durch den Kolonialismus neu formen wollen.
Valentina Pakytein aus Indien spricht über die Khasi
Anschließend stellten jüngere Wissenschaftlerinnen ihre neuen Forschungen zum Thema matriarchale Sozialmuster und Spiritualität vor: Mariam Irene Tazi-Preve und Marguerite Rigoglioso.
Der zweite und dritte Tag waren den Grundlagen der Matriarchatspolitik und den praktischen Beispielen gewidmet. Die Grundlagen der Matriarchatspolitik wurden auf diesem Kongress erstmals vor einer großen Öffentlichkeit formuliert; dies unternahmen drei Theoretikerinnen, deren verschiedene Konzepte sich gegenseitig bestens ergänzen: die Subsistenzperspektive, formuliert vonVeronika Bennholdt-Thomsen, die Ökonomie des Schenkens von Genevieve Vaughan, die Matriarchatspolitik und Vision einer neuen Gesellschaft von Heide Göttner-Abendroth.
Außerdem wurde eine Reihe von praktischen Beispielen aus der feministischen und anderen alternativen Bewegungen vorgestellt, die matriarchale Werte enthalten und matriarchalen Mustern nahe kommen: Christa Müller sprach über die urbanen, interkulturellen Gärten, auf denen sich Menschen aus verschiedenen Kulturen in friedlicher Weise treffen, um mitten in der Stadt wieder mit der Erde zu arbeiten. Aus dem Leben ihrer Gemeinschaften, die wahlverwandte Clans mit matriarchalen Zügen sind, berichteten Johannes Heimrath und Lara Mallien (Großfamilie in Deutschland), Lin Daniels (Gemeinschaft von Frauen, USA) und Angela Cuevas de Dolmetsch (Frauendorf in Kolumbien). Aus der Arbeit ihrer Bewegungen, die von matriarchalen Werten getragen sind, berichteten Claudia von Werlhof (Planetare Bewegung für Mutter Erde), Siegrun Laurent (Akademie ALMA MATER, vom Feminismus in eine matriarchale Gesellschaft) und Katie Hoffner (Politische Partei der Mutter Erde).
Alle diese Überlegungen und Beispiele stießen auf lebhafte Zustimmung der TeilnehmerInnen, was an dem häufigen und langanhaltenden Beifall zu erkennen war. Die Berichte über die bereits unternommenen Aktivitäten in matriarchale Richtung gaben ihnen Orientierung und ermutigten zum Handeln, so dass viele neue Wege aus den patriarchalen Gesellschaften hinaus gefunden werden können.Angela Cuevas de Dolmetsch (Frauendorf in Kolumbien). Aus der Arbeit ihrer Bewegungen, die von matriarchalen Werten getragen sind, berichtetenClaudia von Werlhof (Planetare Bewegung für Mutter Erde), Siegrun Laurent (Akademie ALMA MATER, vom Feminismus in eine matriarchale Gesellschaft) und Katie Hoffner (Politische Partei der Mutter Erde).
Einen Höhepunkt bildete am zweiten Tag die Proklamation des MATRIARCHALEN MANIFESTES in deutscher und englischer Sprache. Dieses Manifest war gemeinsam von den mehr als 180 Mitgliedern des weltweiten Netzwerkes: „Matriarchal Studies“ formuliert worden. Dem Aufruf, das Manifest zu unterzeichnen, folgten viele TeilnehmerInnen des Kongresses. (siehe Text „Matriarchales Manifest“)
Drei besondere Abende: Jubiläen und die Eröffnung des MatriArchivs
An jedem Abend der drei Kongresstage fand ein besonderes Ereignis statt:
Der erste Abend galt der Feier des 25-jährigen Jubiläums der Internationalen Akademie HAGIA. Die beiden Akademie-Leiterinnen hielten die Festreden. Heide Göttner-Abendroth erzählte sehr witzig vom Werdegang ihrer Tochter HAGIA: wie sie diese zur Welt brachte, wie sie die kleine HAGIA vor staatlichem Zugriff schützte, wie viele Frauen ihr über lange Jahre halfen, dass die Tochter groß wurde, was ihre unternehmungslustige Tochter HAGIA alles unternahm: Seminare, spirituelle Feste, Studiengänge, Kongresse und Forschungsreisen in vielen Ländern der Erde. Cécile Keller sprach über ihre 15-jährige Mitwirkung in der Akademie und ihre besonderen Bereiche Matriarchale Medizin und Spirituelle Heilkreise. Danach berichteten fünf langjährige Freundinnen der HAGIA über ihre eindrücklichen Erfahrungen und ihren Weg mit der Akademie.
Der zweite Abend stellte einen Höhepunkt des Kongresses dar: die feierliche Eröffnung des MatriArchivs, der ersten wissenschaftlichen und internationalen Matriarchatsbibliothek der Welt. Das MatriArchiv wurde bereits 2007 gegründet und jetzt mit einem Festakt in der Kantonsbibliothek Vadiana, von der es ein Teil ist, eröffnet. Seine Gründerin und Leiterin ist Christina Schlatter, welche die Publikumsdienste in der Kantonsbibliothek leitet. Sie stellte an diesem Abend das MatriArchiv der internationalen Frauenöffentlichkeit vor, die begeistert daran Anteil nahm. Dicht gedrängt standen die Frauen bei der Eröffnung in den Räumen und Fluren des Bibliothekgebäudes, um auch der Rede des Direktors der Kantonsbibliothek zu lauschen, der sich definitiv schützend hinter das MatriArchiv stellte.
Die Referentinnen aus Amerika, Afrika und Asien
treffen sich im MatriArchiv
Das MatriArchiv zeichnet sich dadurch aus, dass es erstens in eine offizielle Institution integriert ist, die es fördert und seinen fachgerechten Betrieb garantiert. Es ist zweitens eine wissenschaftliche Bibliothek, womit es der modernen Matriarchatsforschung und ihrem weiten Umfeld entspricht. Es ist drittens international aufgebaut, denn es enthält Bücher in mehreren Sprachen. Viertens bewahrt es das Gesamtwerk von Heide Göttner-Abendroth auf. Diese Eigenschaften machen das MatriArchiv zu einer einzigartigen Bibliothek, und die Freude der vielen TeilnehmerInnen war groß, dass es sie gibt.
Der dritte Abend war dem persönlichen Jubiläum von Heide Göttner-Abendroth gewidmet, das ihre Freundinnen und Schülerinnen anlässlich ihres 70. Geburtstages für sie gestalteten. Veronika Bennholdt-Thomsen und Kurt Derungs hielten die Gratulationsreden. Cécile Keller gestaltete eine schöne rituelle Feier und kündigte Heides Jubiläumsschrift an, die unterdessen im Juli 2011 erschienen ist: „Am Anfang die Mütter. Matriarchale Gesellschaft und Politik als Alternative“ (Kohlhammer Verlag). Zum Kongress kam auch der Klassiker „Die Göttin und ihr Heros“ von Heide in einer völlig überarbeiteten Neuerscheinung wieder heraus (Kohlhammer-Verlag). Der Festabend schloss mit einem Filmporträt: „Ein Leben für die Matriarchatsforschung: Heide Göttner-Abendroth“ von Gudrun Frank-Wissmann.
Besucherinnen stöbern im MatriArchiv
Der ganze Kongress ein spirituelles Fest
In matriarchalen Kulturen sind Wissen, Politik und Spiritualität miteinander verbunden und nicht abgespalten. So fassten auch die Leiterinnen diesen Kongress für Matriarchatsforschung und -politik auf. Deshalb gestalteten sie den gesamten Kongress als ein spirituelles Fest.
Schon das gesamte Kongressgebäude, die Tonhalle in St. Gallen mit ihren Treppen und Räumen, war festlich mit den Bannern von Lydia Ruyle geschmückt, die Göttinnen aus der ganzen Welt darstellen. Sie umgaben die TeilnehmerInnen überall und schufen eine Atmosphäre von Feierlichkeit und Frieden. An jedem Morgen eröffnete eine der international bekannten Forscherinnen, die zugleich Priesterinnen sind, den Kongresstag: die Künstlerin Lydia Ruyle (USA), Kathy Jones aus England, die den Göttin-Tempel von Glastonbury (Avalon) gründete, und die international bekannte Autorin Vicki Noble (USA).
Den spirituellen Bogen des Kongresses schuf mit allen TeilnehmerInnen Cécile Keller, die im Park neben der Tonhalle das täglich sich erweiternde zentrale Ritual gestaltete: den „Weltenkreis“. Er ist das symbolische Abbild der Erde: ein Kreis mit den vier Quadranten in den Himmelsrichtungen, ein Symbol, das in Europa seit der Altsteinzeit bekannt ist und bei indigenen Völkern bis heute weiterlebt. Darin versammelten sich von Tag zu Tag die verschiedenen Kontinente durch die Frauen, deren Völker und Kulturen aus diesen Kontinenten kommen. Begleitet wurden alle Rituale von den beiden Priesterinnen-Trommlerinnen Isabella Verbruggen und Loes Moezelaar aus Holland.
Am ersten Tag erschien das „Licht der Hoffnung“ in Weiß im Osten des Weltenkreises, und die indigenen Frauen aus Asien traten hinzu und brachten Gebete und Lieder aus ihren Kulturen mit. Am zweiten Tag erschien das „Licht der Liebe“ in Rot im südlichen Quadranten, und die indigenen Frauen aus Afrika tanzten und sangen für die Erde. Am dritten Tag war es das „Licht der Heilung“ in Blau, das im Westen im strömenden Regen unbeirrt in seinem Quadranten stand, und die indigenen Frauen aus Amerika brachten Gaben aus ihren Kulturen herein. Am vierten Tag füllte sich der nördliche Quadrant mit dem „Licht der Verwirklichung“ in Schwarz und den Frauen aus Europa. So wurde der Weltenkreis, der durch alle Frauen und ihre geistige Kraft auf dem Kongress gegenwärtig war, im Ritual sichtbar, ebenso ihre schwesterliche Verbundenheit miteinander. Die Energien der vier Lichter wurden der Mutter Erde zur Heilung und zum Dank geschenkt.
Am Schluss brachen die Frauen zum großen Zug durch die Stadt St. Gallen auf, um die Energie des matriarchalen Kongresses in die Öffentlichkeit zu tragen. Den beiden Trommlerinnen und den Priesterinnen der Akademie HAGIA, alle in leuchtendem Weiß, folgten mehr als 200 Frauen. Sie trugen die farbenprächtigen Göttinnen-Banner von Lydia Ruyle mit sich, die über ihren Köpfen wehten. Mit Gesang gingen sie vorbei am Labyrinth der Zürcher Frauen im Park und hinein in die Gassen der Altstadt zu alten heiligen Plätzen.
Einst hatte Gallus, nach dem die Stadt heißt, hier missioniert und die alte Göttinreligion verdrängt. Er gründete das Kloster St. Gallen mit seiner weltberühmten Stiftsbibliothek und erbaute es genau vor der kleinen Schlucht mit dem heiligen Flüsschen, das damals verehrt worden war. Nach der christlichen Legende vertrieb Gallus an dieser Stelle „zwei Dämonen mit nackten, weiblichen Körpern“, was auf die Vertreibung von Wasserpriesterinnen hinweist, die das Wasserheiligtum mit seinen natürlichen Becken gehütet hatten. Heute allerdings gibt es in St. Gallen auch eine Matriarchatsbibliothek, und die Frauenprozession ehrte auf dem Klosterplatz die verschwundenen Priesterinnen und Göttinnen und rief ihre Energie zurück. Ein anderer Platz war der Brunnen der weisen und heiligen Frau Wyborada, wo der Zug der Frauen hielt. Wieder wurden die Wassernymphen und Göttinnen gerufen, damit die Welt wieder vollständig werden würde, und in ihrem Namen wurde das Wasser aus dem Brunnen verspritzt. Über den Köpfen der Frauen entfaltete sich das große Banner „Grüß Göttin“ von Ursula Beiler.
Zurückgekehrt wurde der Zirkel geöffnet, der zu Beginn des Kongresses von den Priesterinnen aus aller Welt geschlossen worden war, so dass das gesamte Ereignis in diesem spirituellen Rahmen stattgefunden hatte.
Auf dem Kongress waren außer den Bannern von Lydia Ruyle auch zwei Ausstellungen zu sehen: die Foto-Ausstellung zu den „Matriarchalen Mysterienfesten“ in der Akademie HAGIA (von Siegrun Claaßen) und die Foto-Ausstellung der „1000 FriedensFrauen Weltweit“, die in allen Ländern der Erde für Frieden, Gerechtigkeit und ein freies Leben für Frauen kämpfen.
22. Juli 2011
INTERNATIONALE AKADEMIE HAGIA